Das Gehalt kommt verspätet? Eine Abmahnung ist keine Einbahnstraße.

Vergütung

Interview des Stadtmagazins Bremen (Jennifer Fahrenholz) mit Rechtsanwalt Dr. Alireza Khostevan zum Thema Gehalt, erschienen u.a. in der Beilage Recht & Geld 2020 des Weser Kuriers vom 02.11.2020 (Auszüge).

Es ist der elementarste Ausdruck geleisteter Arbeit: das Ge­halt. Vor allem zum Monatsende kontrollieren zahlreiche Angestellte regelmäßig ihren Kontostand, um zu sehen, ob der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht nachgegangen ist. Doch was passiert, wenn das Geld wider getroffener Vereinbarungen auf sich warten lässt? Und was zeichnet ein faires Gehalt aus? Darüber haben wir mit Dr. Alireza Khostevan gesprochen.

Die Begriffe „Gehalt“ und „Lohn“ werden im Alltag oft synonym verwendet. Worin unterscheiden sie sich und wie definiert sich das Gehalt konkret?

Dr. Alireza Khostevan: Juristisch unterscheiden sich die zwei Be­griffe tatsächlich nicht mehr. Früher hat man davon gesprochen, dass Arbeiter Lohn bekommen und Angestellte Gehalt beziehen. Mittler­weile meinen beide Begriffe das Gleiche, nämlich die Vergütung. Das bedeutet: die Gegenleistung, die Arbeitnehmer für die erbrachte Arbeitsleistung erhalten. Ob diese Gegenleistung in Geld erbracht wird oder in Naturalien, in regelmäßigen Zahlungen oder Einmal­zahlungen – das ist komplett frei und wird im Vorfeld festgelegt. Das Gehalt ist nämlich Verhandlungssache.

Sie sind als Rechtsberater tätig. Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Anliegen und Fragen, die Arbeitnehmer zum The­ma Gehalt haben?

Die Anliegen und Situationen sind unterschiedlich, allerdings kom­men bestimmte Szenarien öfter vor. Ausgebliebene Gehälter sind unter anderem so ein Problem, also wenn der Arbeitgeber gar nicht oder verspätet zahlt. Auch unberechtigte Abzüge kommen vor. In vielen Fällen haben Arbeitnehmer auch Probleme beim Lesen und Verstehen der Abrechnung, wobei man sagen muss, dass das auch eine Wissenschaft für sich ist (lacht). Gerade in der aktuellen Zeit, in der mitunter Kurzarbeit bezogen wird, wird es da schnell unüber­sichtlich. Das sind Themen, bei denen wir unterstützen können.

Stichwort Gehaltshöhe: Gerade für Berufsanfänger ist es oft schwer eine realistische und zugleich angebrachte Gehaltsvor­stellung zu formulieren. Was raten Sie Betroffenen in dieser Si­tuation?

Das ist eine schwierige Situation, in der es vor allem auf Verhand­lungsgeschick ankommt. Aus eigener Erfahrung kann ich nur raten, sich im Vorfeld schlau zu machen, sei es auf Portalen oder in Daten­banken, um ein Gefühl dafür zu kriegen, was Berufsanfänger in der jeweiligen Branche und Position verdienen. In den Gehaltsverhand­lungen und Bewerbungsschreiben muss man dann mutig sein und eine Zahl nennen. Diese sollte realistisch sein, vielleicht sogar über die Summe, die einem vorschwebt, hinausgehen. Nur so ist genug Verhandlungsmasse da.

Klingt so, als würde es Sinn machen, taktisch in Gehaltsverhand­lungen zu gehen.

Ja, eine Gehaltsverhandlung ist ihren Strukturen mit einem Floh­markt vergleichbar. Wenn Sie etwas verkaufen wollen, können Sie davon ausgesehen, dass der Interessent versucht, den Preis her­unterzuhandeln. So ist es auch in Gehaltsverhandlungen. Aus die­sem Grund macht es Sinn, sich einen Puffer zu schaffen und die Vor­stellung im Gespräch etwas höher anzusetzen.

Gibt es so etwas wie ein faires Gehalt?

Für mich als Jurist ist alles fair, worauf sich die Parteien im Vorfeld geeinigt haben. Natürlich gibt es Mindestanforderungen, wie durch den Mindestlohn definiert. Sobald das Gehalt sittenwidrig niedrig ist, ist es juristisch angreifbar. Ansonsten ist alles, was sich darüber bewegt, zumindest rechtlich fair. Unfair ist ein Gehalt dagegen ganz klar, wenn es um Diskriminierung geht, also wenn Personengruppen systematisch diskriminiert werden und aufgrund ihrer Zugehörig­keit weniger verdienen als andere Angestellte in der gleichen Posi­tion. In Bezug auf Frauen ist das unter dem Titel „Gender-Pay-Gap“ ein altbekanntes Problem. Allerdings können auch Sprachbarrieren ein Problem sein, womit wir wieder beim Thema der Gehaltsver­handlung wären. Wenn Betroffene ihre Vorstellungen nicht formu­lieren können und das Angebot des Arbeitgebers nicht richtig ver­stehen, will ich nicht ausschließen, dass sie über den Tisch gezogen werden.

Wird in Gehaltsverhandlungen wirklich verhandelt oder herrscht eher ein Machtgefälle, in dem der Arbeitgeber eine Vorstellung formuliert, von der er gar nicht bereit ist abzuweichen?

In solchen Gesprächen herrscht definitiv ein Machtgefälle zuguns­ten des Arbeitgebers. Allerdings versuche ich Arbeitnehmern in Schulungen und Vorträgen immer wieder bewusst zu machen, dass es sich nicht um eine Gefälligkeit handelt. Der Arbeitgeber möchte etwas von dem potentiellen Arbeitnehmer, nämlich seine Arbeits­kraft. Dessen sollte man sich bewusst sein und seine Arbeitskraft nicht zu billig verkaufen. Natürlich ist es in der Praxis oft so, dass der Arbeitgeber ein Angebot unterbreitet und angibt, davon nicht abzu­weichen. Spielraum ist in den meisten Fällen jedoch trotzdem vor­handen. Man muss lernen seinen Marktwert einzuschätzen. Dann kann man auch mit Selbstbewusstsein auftreten.

Neben dem Mindestlohn gibt es das Instrument des Tarifver­trages, um finanzielle Mindeststandards in einer Branche oder Firma festzulegen. Wie präsent sind Tarifverträge aktuell noch am Arbeitsmarkt?

Tarifverträge sind tatsächlich noch präsent, wir haben damit in unseren Beratungen noch sehr häufig zu tun. Allerdings ist ein Ab­wärtstrend zu beobachten.

Sind tarifvertragliche Vereinbarungen eigentlich ein durchweg positives Instrument oder gibt es auch Nachteile, die auf dem ersten Blick nicht ersichtlich sind?

Manchmal ruht sich der Arbeitgeber umgangssprachlich ausge­drückt auf den Inhalten des Tarifvertrages aus. Das bedeutet, dass er sich tarifvertraglich gebunden hat, um nicht mit jedem Arbeitneh­mer individuell verhandeln zu müssen. Aus dieser Perspektive sind Tarifverträge für ihn eine Vereinfachung. Zwar ist ein finanzielles „mehr“ grundsätzlich und rechtlich möglich, kommt jedoch selten vor.

Wenn es um das Thema Gehalt geht, ist auch der Zeitpunkt ein wichtiger Faktor. Gibt es eine Regel bis wann der Arbeitgeber das Gehalt spätestens überwiesen haben muss?

Es kann individuell geregelt sein. Ist das nicht der Fall, gilt das Ge­setz. Das bedeutet, dass das Gehalt am ersten Tag des Folgemonats dem Arbeitnehmer zur Verfügung stehen muss.

Wie sollten sich Beschäftigte verhalten, wenn das Gehalt später als vereinbart kommt und sich dadurch für Betroffene sogar fi­nanzielle Engpässe ergeben?

Das ist ein häufiges Problem, wonach ich sogar die Uhr stellen kann. Am Anfang des Monats werden wir regelmäßig angerufen von Be­troffenen, die auf ihr Gehalt warten und beispielsweise ihre Miete nicht bezahlen können. Dadurch können Verzugsschäden entste­hen, beispielsweise Überziehungs- oder Rücklastgebühren. Das sind Schäden, die der Arbeitgeber ersetzen muss. Kommt eine verspätete Gehaltszahlung einmalig vor, würde ich empfehlen darüber hinweg­zusehen. Wird diese Unpünktlichkeit allerdings zur Regelmäßigkeit, sollte der Arbeitgeber zur Rechenschaft gezogen werden.

Wie ist das Vorgehen in so einem Fall?

Zunächst setzen wir ein Schreiben auf und weisen den Arbeitgeber auf seine Pflichten hin. Bringt das nichts, würden wir den Arbeitge­ber in einem nächsten Schritt abmahnen. Die wenigsten Arbeitneh­mer wissen nicht einmal, dass das geht. Dabei gilt: Eine Abmahnung ist keine Einbahnstraße. (JF)